Zwei atemberaubende Jazz-Alben
Manchmal treffen Energien und Strömungen – andere würden es Zufall nennen – aufeinander, aus denen praktisch zeitgleich atemberaubende, irgendwie miteinander verwandte Erzeugnisse entstehen. In den letzten Wochen sind zwei Jazz-Alben erschienen, die für mein Empfinden wie durch ein mystisches Band verbunden sind.
Erik Truffaz – Rollin’
«Der gefeierte französische Trompeter Erik Truffaz kehrt mit einem Album zu Blue Note zurück, auf dem er der Musik seiner Lieblingsfilme aus dem goldenen Zeitalter des Kinos seine einzigartige Note verleiht. Truffaz bietet fesselnde Neuinterpretationen von Themen aus Filmklassikern wie La Strada, L'Ascenseur Pour L'Echafaud, River of No Return, Le Casse & mehr» lautet der doch recht trockene Beschrieb von Blue Note Records zum neuen Album «Rollin’» von Erik Truffaz. Doch das Ergebnis – natürlich auf Vinyl in einer sehr guten Pressung – ist alles andere als trocken. Erik Truffaz zieht die ganz grosse Leinwand auf für seine Neuinterpretationen von neun Titeln aus der Filmmusik. Es macht richtig Spass, dabei zuzuhören, wie die Band bestehend aus Erik Truffaz (Trompete), Marcello Giuliani (Bass), Alexis Anérilles (Keyboards), Raphaël Chasson (Schlagzeug) und Matthis Pascaud (Gitarre) die Klassiker neu interpretiert. In jedem Titel steckt eine schöne Spannung, es macht richtig Spass zuzuhören. Eines der Highligts ist auch der Titel «La Lettre de Rosalie» mit der Stimme von Sandrine Bonnaire für eine Lesung der Worte, die Romy Schneider im Film gesprochen hat.
Erik Truffaz Rollin’ ist Kopfkino in Reinkultur und beweist, dass gute Filmmusik auch ohne Bilder die gewollten Stimmungen zu transportieren vermag. Das Album ist sehr schön produziert, subtil aufgenommen, räumlich eine Wucht; Truffaz steht mit seiner Tompete mitten im Hörraum. Auch feinste Details werden sauber aufgelöst. Dieses Album ist ein Genuss von A bis Z!
Wolfgang Haffner – Silent World
Was geht ab, wenn einer der vermutlich besten zeitgenössischen Schlagzeuger Deutschlands im Label ACT ein Album produziert? Mächtig viel, dies schon mal im Voraus.
Haffner versammelt Grössen wie Dominic Miller, Nils Landgren, Till Brönner, Bill Evans, Rhani Krija und weitere Musiker:innen um sich, um dieses mitreissende Album zu produzieren. ACT schreibt dazu: «Für Wolfgang Haffner, den prominentesten deutschen Schlagzeuger unserer Zeit, kam es zu einem besonders abrupten Stillstand, nicht zuletzt, weil sein Terminkalender so voll und sein Arbeitstempo so hoch ist. (…) Glücklicherweise hat sich Haffner aber schon immer mindestens genauso sehr als Komponist wie als Schlagzeuger gesehen, und so war es ganz natürlich, dass er sich, nachdem er den ersten Schock des Hausarrests verdaut, lange Spaziergänge gemacht, viel ferngesehen hatte, dem Schreiben von Musik widmete. Und ausnahmsweise musste er es nicht zwischen anderen Verpflichtungen unterbringen, sondern konnte es konzentriert angehen. "Normalerweise ist alles, was ich tue, mit einer gewissen Dringlichkeit verbunden, um es zu Ende zu bringen. Aber jetzt, wo ich ganz auf meine eigenen Ressourcen angewiesen bin und keine Hintergrundgeräusche mich ablenken, konnte ich mich fragen, was ich eigentlich tun will. Wie meine eigene persönliche Prägung aussieht. So ist es nur logisch, dass das Album, das in dieser einzigartigen Zeit entstanden ist, "Silent World" heißt.»
Silent ist das Album nun gerade nicht geworden – ganz im Gegenteil, die Songs haben eine mitreissende Energie, ziehen den oder die geneigte Hörerin in seinen Bann. Groove, Bounce, Balance in Perfektion, die reine Freude! In «Silent World» geht es um das Menschsein an sich, das Album bewegt sich zwischen Träumen, Lebendigkeit, Hoffnung und Hymnen und schafft eine einmalige Grundlage, die Musik von Haffner & Co konzentriert und hingebungsvoll zu geniessen.
Bemerkenswert finde ich neben all den herausragenden Instrumentalisten – die Liste ist beeindruckend lang – vier Tracks auf dem Album, bei denen Alma Naidu ihre wunderbare Stimme einsetzt als Instrumentalstimme. Genuss pur und Gänsehaut garantiert!
…und die Verbindung?
Gewiss, es gibt im Prinzip keine direkte Verbindung zwischen den beiden Alben. Erik Truffaz ist bei Blue Note erschienen, Wolfgang Haffner bei ACT. Haffner ist Drummer, Truffaz spielt Trompete. Truffaz interpretiert Filmmusik neu, Haffner bannt eigene Kompositionen auf Vinyl.
Also keine Gemeinsamkeiten. Und doch. Auch nach dem x-ten Mal hören der beiden Alben wäre ich nicht überrascht, wenn die meisten Tracks auf ein und demselben Album vereint wären. Sie teilen einen ähnlichen – manchmal fast gleichen – Mood und die Alben sind bemerkenswert gut produziert. Beide Alben transportieren die Energie und die Freude, welche die Bands beim Spielen der Titel scheinbar empfunden haben. Und sowohl Truffaz wie auch Haffner setzen auf die Magie der Stimmen ausserordentlicher Sängerinnen.
Meine Empfehlung: beide Alben kaufen und selber testen :-)