Revival der guten alten Stereoanlage
Tot geglaubte leben länger: Was auf die Schallplatte aus Vinyl zutrifft, gilt in gleichem Masse für die gute alte Stereoanlage mitsamt Plattenspieler. Doch weshalb kommen immer mehr junge und jung gebliebene Menschen auf die «alte» Art des Musikhörens zurück? In diesem Beitrag versuche ich das zu ergründen.
Bedeutung einer Epoche
Die 70er-Jahre waren für die Rock- und Popmusik eine der wichtigsten und innovationsfreudigsten Dekade. Noch heute sind die Playlists vieler Radiostationen und Streamingdiensten mit Songs aus dieser Zeit gespickt. Die damals gegründeten Bands schufen mit ihren Alben Meilensteine der Rockmusik. Neue Stile entstanden in den Siebzigern, vieles wurde ausprobiert und auch verworfen. Hard-, Heavy- und Progrock machten sich selbständig, Glamrock kam und verschwand fast, Punk und New Wave erblicken das Licht der Welt, Reggae wurde selbstsicherer. Dank neuer Technologie schafften auch Tüftler wie Kraftwerk, Eno, Jarre den Durchbruch mit eigenständigen Stilen. Und erfunden wurde Ende der Siebziger auch das Sampling, das wenig später zum Standard für Rap und Hip-Hop wurde.
Viele Bands und Künstler der Siebziger sind bis heute ikonisch: Rolling Stones, Pink Floyd, Deep Purple, Black Sabbath, AC/DC, Marvin Gaye, Aretha Franklin, Tina Turner. Aber auch David Bowie, T. Rex, Sweet, Kiss, Queen. Oder Genesis, Yes. Die Liste liesse sich ziemlich in die Länge ziehen. Jedenfalls gibt es aus den Siebzigern sehr viele sehr gute Alben, die in bemerkenswert guter Klangqualität aufgenommen und produziert wurden. Selbstredend, dass das Second Hand-Angebot mit Siebziger-Schallplatten auf Märkten und in Plattenläden entsprechend gut bestückt ist.
Ikonisch sind auch die Stereoanlagen aus dieser Zeit, allen voran die Plattenspieler von Thorens oder die HiFi-Geräte mit den für die damalige Zeit typischen Metallfronten (und Holzgehäusen!) von Marantz, Pioneer, Kenwood oder Technics. Viele dieser Museumsstücke liegen noch auf Dachböden rum oder wurden hoffentlich bereits durch kundige Enkelkinder annektiert und erleben in der Studenten-WG ihren zweiten Frühling – gut so! Doch dazu später mehr.
Natürlich sind nicht nur die 70er Jahre für das Revival der Schallplatte und damit der Stereoanlage schuld. Einen wesentlichen Beitrag steuert auch die
Flüchtigkeit des Digitalen
dazu bei. Gerade bei Jugendlichen ist es doch so, dass eine gewisse emotionale Nähe zu seiner Lieblingsmusik (bzw. Künstler:in, Band) das Erwachsenwerden beeinflusst. Während früher die Mädchen- und Jungenzimmer mit Postern der verehrten Künstler:innen und Bands tapeziert wurden, wird heute auf Social Media gefolgt und geliked. Die Musik wird instant auf Youtube, vielleicht auf Spotify konsumiert. Was heute hip ist, ist morgen weg von der Bühne, hat keine Spuren hinterlassen und ist austauschbar geworden gegen den neusten Trend. Eben flüchtig. Wir «alten» dürfen uns wenigsten für unsere Geschmacksverirrungen in der Jugend noch schämen, wenn wir die physischen Tonträger (Kassetten! Alben. Singles!) aus dieser Zeit ausgraben und herzlich darüber lachen. Digital geht das zwar schon, aber es ist nicht halb so amüsant; es sieht immer neu aus. Und: gibt es deine Streamingplattform in zig Jahren noch?
Ganz anders die faszinierende physikalische Präsenz des Analogen: abgegriffene Albumcovers, Staub auf der Schallplatte, zerfledderte Innenhüllen, ein Bandsalat bei einer Kassette. Oder einfach die Lust, im Second Hand-Plattenladen (zum Beispiel bei Urs im Vinylsound in Münsingen) nach alten Schätzen zu graben und eine Platte zu finden, die schon durch zig Hände gegangen ist und immer noch die Emotionalität zu vermitteln vermag, der schon die erste Besitzerin erlegen ist. Patina der Zeit, oder auch der
Wert der Dinge
die wir besitzen. Hierzu sei ein kleiner Vergleich angebracht: wann hast du dein Smartphone zuletzt gewechselt? Vor 12, 24 oder 36 Monaten? Kürzlich habe ich einen Plattenspieler mit Jahrgang 1991 revidiert. Der macht wieder Freude und tolle Musik für die nächsten 30 Jahre. Das Smartphone hat neu 980.- gekostet, der Plattenspieler ebenfalls.
Ganz ähnlich geht es mit den oben erwähnten Stereoanlagen der Eltern oder Grosseltern. Ist ein Gerät oder die Lautsprecher defekt oder einfach am Ende des Lebens angekommen, ist das nicht weiter tragisch. Ein neues Gerät passt sich nahtlos in die alte Anlage ein. Alle Anschlüsse sind immer noch gleich, das Zeug ist über alle Marken hinweg seit Jahrzehnten genormt und beliebig kombinierbar. Aus Sicht des Händlers eine Katastrophe, aber so ist es nun halt ;-)
Das bringt auch mit sich, dass eine Stereoanlage mit wechselnden Lebenssituationen, Ansprüchen an Soundqualität und der Art und Weise wie Musik gehört wird, mitwächst und sich anpassen lässt. Ausschlaggebend für den Einstieg in das «richtige» Musikhören ist heutzutage oft ein Plattenspieler. Einmal angeschafft, begleitet einem das technisch einfache, robuste Ding eine sehr lange Zeit. Leistungsfähiger werden mit der Zeit vielleicht die Lautsprecher, der Verstärker. Vielleicht kommt noch mal ein DAC hinzu, um auch gestreamte Musik in hoher Qualität zu geniessen. Oft ist es so, dass eine Anlage über Jahre rund um das immer gleiche Gerät wächst. Die ausgetauschten Geräte werden weiterverkauft oder verschenkt und legen so den Grundstein für eine nächste Karriere. Vermutlich wird auch vieles weggeworfen, aber es hat doch ein Umdenken im Hinblick auf eine
Änderung im Konsumverhalten
stattgefunden. Möbel und Kleider haben schon lange mehrere Leben – die aus allen Nähten platzenden Second Hand-Läden zeugen davon. Schallplatten geht es ebenso, und immer häufiger auch HiFi-Komponenten. Egal ob neu angeschafft oder auf Ricardo ersteigert: ein qualitativ gutes Gerät hält ewig und lässt sich in der Regel auch einfach reparieren, sollte mal was zu Bruch gehen. Etwas schwieriger ist es, wenn ein altes Gerät nur durch ein Ersatzteil repariert werden kann. Leider sind die Hersteller nicht in der Lage, grosse Ersatzteillager aufrecht zu erhalten und können nur für die aktuellen Produktlinien Teile liefern. Was ja auch eine Chance sein kann, der heimischen Stereoanlage einen Booster durch ein Gerät einer nächsthöheren Qualitäts- und Leistungsklasse zu spendieren. Gerade mit neuen Lautsprechern passiert es dann oft, dass die Musiksammlung auf einen Schlag viel besser klingt als zuvor.
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