Wie schädlich ist Streaming für die Umwelt?
Kürzlich (genauer am 8. Dezember) bin ich in einem Newsletter über folgende Schlagzeile gestolpert: «Warum und wie Musik-Streaming der Umwelt schadet». Klar, dass mich das interessiert - nicht zuletzt, weil ich mich vor wenigen Jahren in Green Economy weitergebildet habe und den einen oder anderen Hintergrund zu kennen glaube.
Besagter Artikel zitiert also einige Studien und stellt die Behauptung in den Raum, dass einige Songs den selben Fussabdruck haben wie – festhalten – 4’000 Flüge zwischen London und New York! Eine kurze Recherche hat zutage gefördert, dass diese Zahlen seit einigen Jahren im WWW zirkulieren, sich aber ursprünglich auf Video-Streaming bezogen haben. Die zitierten Zahlen gleichen sich immer wieder und gehen auf eine französische Studie aus dem Jahre 2019 zurück. Viele Medien titelten damals aufgrund der Studie, dass 30 Minuten Netflix-Streaming den selben CO2-Ausstoss haben wie 4 Meilen Autofahrt.
In der Studie sind noch weitere, auf den ersten Blick sehr besorgniserregende Zahlen berechnet worden. Beispielsweise, dass im 2018 der Streaming-Markt weltweit das CO2-Äquivalent von der gesamten französischen Volkswirtschaft (300 Millionen Tonnen) erzeugt hat. Diese Zahlen sind aber so absurd hoch, dass schon eine kleine Milchbüchlirechnung zeigt, dass das nicht sein kann. Stellt man mit der Behauptung der 4’000 Flüge für den einen Song diese Rechnung an, kommt folgendes heraus: dieser Song hätte somit 900 Gigawattstunden (GWh) verbraucht, was auf ein Jahr 600 Terawattstunden (TWh) ausgemacht hätte – oder 2.5% des weltweiten Stromverbrauchs. Das wären dann sogar viel mehr als alle Datencenter (ca. 200 TWh) und Datennetzwerke (ca. 250 TWh) weltweit zusammengenommen (alle Details und die Berechnungsgrundlage sind im Bericht der IEA zu finden).
Aufgrund der von vielen Medien aufgegriffenen Schlagzeilen und der haarsträubenden Fehlberechnungen hat sich die Internationale Energie Agentur IEA der Thematik angenommen und selber eine Studie zum CO2-Ausstoss der Streaming-Industrie verfasst und ist zum Schluss gekommen, dass die Berechnungen der erwähnten Studien viel zu hoch ausgefallen sind.
Die Studie der IEA ist sehr detailliert und umfasst viele Tabellen und Berechnungen, welche die aktuelle technische Entwicklung mit einbeziehen. Beruhigend für uns Musik-Fans, ist folgendes Zitat aus der Studie: «The carbon footprint of streaming video is relatively small, especially in countries with low-carbon electricity.» Und mit «relatively small» meint die IEA bezogen auf die Eingangs erwähnten 30 Minuten Netflix, dass dies im weltweiten Strommix einem Ausstoss von 18 Gramm CO2 entspricht. Weit entfernt also von den 4 Meilen Autofahrt. Und bei uns in der Schweiz mit dem (fast) CO2-neutralen Strommix? Nun, eine halbe Stunde Streaming mit einem 50” LED-Fernseher stösst 2 Gramm CO2-Äquivalent aus. Immer noch nicht vollständig CO2-neutral, aber zumindest auf dem richtigen Weg.
Die IEA Studie The carbon footprint of streaming video: fact-checking the headlines kann hier nachgelesen werden.
Spannend ist auch im hinteren Drittel des Beitrages der Abschnitt «Calculate your emission». Dort kannst du das Gerät auswählen, welche Datenrate und in welchem Land du bist. Du siehst dann das CO2-Äquivalent, das du mit Streaming (Video) erzeugst.
Ganz anders sieht es aus, wenn es um die Produktion von einem Vinyl-Album geht. Vinyl ist Kunststoff (PVC) und wird aus Erdöl gefertigt, die Maschinen zum Pressen brauchen viel Energie, Karton und Druck zum Herstellen der Covers ebenfalls. Fracht, Lagerung, Versand erzeugt ebenfalls CO2. Somit ist in einer Schallplatte eine beträchtliche Menge an CO2 gebunden, was die schwarzen Scheiben noch umso wertvoller macht. Darum meine Empfehlung: Vinyl nur sorgfältig behandeln, stehend lagern, nur an den Rändern anfassen und regelmässig hören ;-). Und wenn mal ein Album nicht mehr gefällt: ab in den Secondhand-Handel. Ein Vinyl-Album spenden auch nach 50 Jahren und mehr immer noch viel Freude.
Und wieder einmal bleibt festzuhalten: egal was und wie umsichtig wir es tun, es kann der Umwelt in irgend einer Form schaden. Nur vollständiger Verzicht erzeugt kein zusätzliches CO2.
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