Neue Hörgewohnheiten in der Corona-Krise
Meine These: Weil uns die diversen Lockdowns dazu zwingen, viel mehr Zeit in den eigenen vier Wänden zu verbringen, ändern sich auch bei der einen oder dem anderen die Hörgewohnheiten. Vermutlich in zweierlei Hinsicht: erstens gewinnt die Qualität an Stellenwert und die gute alte Vinylsammlung von den Eltern (oder Grosseltern, oder die eigene) wird vom Estrich geholt und neu entdeckt. Hier meine Überlegungen dazu.
Der Aspekt der Klangqualität entspringt meiner Wahrnehmung einiger Strömungen am Markt, hier am Beispiel von Qobuz. So gibt es seit dem Sommer 2020 bei der erfolgreichen französischen Streaming-Pl attform Qobuz keine MP3-Tracks mehr - das gesamte Sortiment von über 70 Millionen Titeln liegt in unkomprimierter Form zum Streamen oder Download via den eigenen Player zur Verfügung. Die Tracks liegen entweder in CD-Qualität (16 Bit/44.1 kHz) oder in Studio-Qualität (24 Bit/bis zu 192 kHz) vor. Erfahre im Video von Qobuz, weshalb Klangqualität so wichtig ist – und weshalb eine hohe Klangqualität gegenüber dem musikalischen Schaffen ein Zeichen von Respekt darstellt.
Und: es geht auch um Fairness gegenüber den Musikern, Tontechnikern, Produzenten. Wenn wir weiterhin schöne Musik hören wollen, müssen wir immer bereit sein, dafür einen fairen Beitrag zu bezahlen.
In einem späteren Blog-Beitrag werde ich übrigens im Detail darauf eingehen, wie du mit wenig Geld und Aufwand zuhause von der Studio-Qualität profitieren kannst.
Der zweite Aspekt, die Vinylsammlungen werden aus der Versenkung geholt und das Album als Kunstform gewinnt an Stellenwert. Vermutlich hat das eine mit dem anderen zu tun. Denn Musik ab der schweren, meist schwarzen «Langspielplatte» zu hören, zwingt einem ein anderes Verhalten und ein Ritual auf:
Platte auflegen –
Plattenspieler einschalten –
Tonarm absenken –
hinsetzen –
geniessen. Seite A zu Ende hören –
aufstehen –
Tonarm zurück –
Plattenspieler ausschalten –
Platte umdrehen –
alles von vorn.
Das Album als Kunstform geht auf die lange Zeitdauer zurück, in der die Schallplatte mit zwei oder vier Seiten (Doppelalbum) den Musikmarkt als Tonträger Nr. 1 beherrschte. Viele Bands insbesondere der 70er und 80er Jahre zelebrierten die Kunstform des Konzeptalbums - ihre Alben sind noch heute unbestrittene Meisterwerke und nageln den Zuhörer buchstäblich auf dem Hörplatz fest, bis die Nadel auf der letzten Seite in die Auslaufrille gleitet. Doch auch bei vielen «gewöhnlichen» Alben stehen die einzelnen Tracks in einer bewussten Abfolge, um den Bogen gespannt zu halten und keine Langweile zwischen den zwei bis drei Highlights aufkommen zu lassen. Dieses bewusste Design von Alben ist durch das Streaming von einzelnen Titel etwas in den Hintergrund gerückt, erlebt nun jedoch auch durch junge Musikerinnen und Musiker eine Art Renaissance - ich denke hier an die Alben von Benjamin Clementine, Woodkid, Steven Wilson und vielen weiteren. In diesem Zusammenhang ist auch gut zu wissen, dass dank der Auferstehung der Schallplatte viele Klassiker aus der Blütezeit der analogen Musikwiedergabe aus den alten Masterbändern neu abgemischt und zum Teil aufwändig und speziell für Vinyl produziert werden. Eines der vielen eindrücklichen Beispiele ist Genesis Seconds Out, eine Live-Aufnahme aus den Jahren 1976 und 1977, die bei den Abbey Road Studios im Half-Speed-Verfahren neu aufgelegt wurde.
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